Dieter Ronte, 2015
Beruf
Längst haben wir uns daran gewöhnt, dass Juristen den Beruf des Künstlers ergreifen. Oft wissen wir es gar nicht von Pierre Bonnard, Wassily Kandinsky, Anselm Kiefer und andere. Zudem leben wir in einer Gesellschaft, in der die Ausbildung uns in die beruflichen Nischen treibt, in denen wir Zeit unseres Lebens verhaftet sind. Der Allrounder wird immer seltener. Zudem leben wir in Ländern, in denen Doppelbegabungen eigentlich nicht erwartet werden; der Dichter, der auch Bildhauer ist wie Ernst Barlach, der Dichter, der auch Zeichner ist, wie Günther Grass, der Sänger, der auch Maler ist, wie Arik Brauer. Überhaupt sollen die Künstler nicht schreiben, keine wutentbrannten Manifeste in die Gesellschaft schleudern, keine philosophischen Texte erfinden, mit denen das Menschheitsverständnis erschwert wird. Der Satz des Geheimrates Johann Wolfgang von Goethe aus Weimar, der seinen eigene Zeit im Bereich bildende Kunst nicht verstanden hat, „Bilde Künstler! Rede nicht“, ist Allgemeingut geworden in den Ländern Deutschland und Österreich, und zum Glück nur dort. Auch die Ausbildung an den Akademien läuft auf diese eine Bestimmtheit hinaus. Zum Glück gibt es große Maler, die sich nie akademisch haben degenerieren lassen.
Dass aber ein junger Künstler zum Journalisten wird und zum erfolgreichen Zeitungsgründer, um zweimal nach einer gewissen Zeit diesen Journalistenberuf an den Nagel zu hängen und seinem eigentlichen Lebenswunsch Künstler wieder nachgeht, ist für viele schwer nachzuvollziehen. Selbst Mitbürger, die wie Joseph Beuys davon sprechen, dass jeder ein Künstler ist, dass die Welt mehr Kreativität braucht, wenn sie mehr Menschlichkeit produzieren will, wird immer wieder vergessen. Das Kunst im Unserem und dem letzten Jahrhundert auch immer eine soziale Zielsetzung hat, wird immer wieder verdrängt. Nein, der Künstler hat nur einen Beruf, den des Künstlers. Mit diesen Vorurteilen verdrängen wir Phantasie und Kreativität. Zumeist ist es der Selbstschutz des Einzelnen in einer Neidgenossenschaft. Im selben Atemzug können wir aber stolz heraus posaunen, dass Kunst und Kultur keine Regeln kennen, denen sie sich unterwerfen müssen.
Sin die Tätigkeiten eines Journalisten so anders als die eines Künstlers. Sucht der Journalist Fakten, so schafft der Künstler sich diese selber. Spricht der Journalist von Wahrheit und Freiheit, so schafft der Künstler neue visuelle Wahrheiten und Freiheiten. Der Journalist findet, der Künstler erfindet. Presse bedeutet immer die rasche Öffentlichkeit. Künstlerisches Schaffen spielt sich in der Stille des Ateliers ab. Viele Bilder treten erst sehr vielspäter in den Kontakt mit der Öffentlichkeit. Dann erst, wenn der Künstler der Überzeugung ist, dass das Bild jetzt reif für die Betrachtung ist. Dann aber gibt er die Bilder frei, doch er kann die Rezeption der Bilder nicht mehr kontrollieren. Jeder Mensch konnotiert unterschiedlich und wird sich somit persönlich und nicht nach Regeln mit dem Werk beschäftigen. So wie auch jeder Presseartikel völlig unterschiedlich gelesen und bewertet wird. Der Journalist will Fakten schaffen und verändern, der Künstler berichtet von sich selbst, seiner eigenen Suche nach einer zunächst privaten Sprache, die dann langsam in die Gesellschaft einsickert. Die Übereinstimmungen und Differenzen zwischen den beiden Berufen halten sich in etwa die Waage. Aber eines haben sie gemeinsam: die Neugier, die Freude am Suchen und Finden. Und dass Bewusstsein, das beide Berufe nicht unbedingt die ökonomische Voraussetzung für Reichtümer sind.
Technik
Bronner malt in der nicht ganz ungewöhnlichen Technik der Fingermalerei. Doch er nutzt die Finger nicht zum Zerreissenn der Farben auf der Leinwand wie z. B. Arnulf Rainer, oder er versucht auf dem Tablet mit den Fingern Künstler zuspielen, wie es David Hockney in seinem Spätwerk versucht hat. Nein, der frühere Journalist Oscar Bronner bleibt wie beim Schreiben sozusagen in Augenhöhe mit dem Tisch, bzw. früher dem Schreibtisch. Im Atelier des Künstlers liegt die Leinwand auf einem Tisch, nicht aber steht sie auf einer Staffelei oder liegt wie heute bei vielen Malern seit Jackson Pollock auf dem Boden, wo sie im Sinne des Amerikaners als Arena betrachtet wird. Bronner kann sich der Leinwand in fast aufrechter Haltung, nie im Sitzen, nähern. Er umkreist die Leinwand, bei der alle vier Seiten einen gleichberechtigten Zugang für den Maler garantieren. Es gibt zunächst kein oben oder unten, rechts oder links. Diese Eigenschaften werden erst definitiv nach der Fertigstellung eines Bildes getroffen.
Fast alle Maler, von Altamira wissen wir es nicht, benutzten Werkzeuge, wie den Pinsel, den Spachtel, und andere Verlängerungen des menschlichen Körpers zum Malen, haben aber oft später, wie William Turner auf der Vernissage, beim Korrigieren des Werkes dann doch die Hand und ihre Finger genutzt, um z. B. etwas zu verswischen, Konturen zu entschärfen usw. Für Bronner gibt es diesen differierenden Malprozess nicht, da er ein Werk hintereinander malen muss. Er kann nicht viele Stunden später oder Tage danach die Arbeit fortführen oder vor der Fertigstellung korrigieren. Die Acrylfarben erfordern ein kontinuierliches Handeln. Dafür garantiert diese Technik anders als Ölfarben eine kontrollierbare Aufbringung und keine ungewollten Verschmelzungen. Die Maltechnik ist ein Vabanquespiel bei dem der Ausgang ungewiss ist. Der Künstler vertraut seiner Erfahrung, aber er kann am Morgen nicht wissen, ob abends ein gültiges Werk vorliegt. Die Palette wird zur Leinwand, auf der die Farben direkt und pur aufgetragen werden. Das einzige Werkzeug sind die Finger. Der Maler hinterlässt sozusagen ohne polizeilichen Druck seine Fingerabdrücke, als nachvollziehbare persönlichste Struktur. Die Farben werden aufgetragen getupft und durch diesen Prozess in Formen gebracht, die nicht wirklich von abbildender Natur sind. Ernst Wilhelm Nay, der deutsche abstrakte Maler, benannte dieses Phänomen mit dem Begriff der Farbe als Material und als Gestaltfarbe. Die Farbe ist die Gestalt.
Die Fingermalerei verweigert die realistische Abbildung, die immer als distanzierte Setzung ein Malutensil zur Fertigstellung braucht. Die Finger haben relativ kleine Oberflächen, die zu eine Punktierung der Farben führen. Mit der ganzen Hand Malen; wie z. B. Arnulf Rainer, führt zu anderen Ergebnissen. Bronner nutzt die Technik, um durch Tupfen ein Bild regelrecht auf zu bauen. Schicht um Schicht wird die Farbe aufgetragen, in den mittleren Formenbereichen mehr al s an den Rändern. Der Malprozess scheint sich den Betrachtern zu erschließen, aber diese können nicht die einzelnen Schritte nachvollziehen, oft ein Diktum der abstrakten Malerei. Durch den langsamen, ja geradezu bedächtigen, Farbauftrag wird nicht eruptiv eine Emotion ausgedrückt, sondern eine feine stille Einbringung der körperlichen Tätigkeit in das Bild vermittelt. Der Malvorgang bleibt immer unter Kontrolle, er verselbständigt sich nicht wie in der gestischen Malerei des Tachismus. Nicht die Geste gilt sondern die Metapher der Farben.
Die Fingermalerei wird bei Bronner eine andere Art des Schreibens, mit dem er nicht an die Grammatik von Worten oder der Buchstaben gebunden ist. Das Malen ist viel unmittelbarer und direkter. Die Fingermalerei erlaubt eine reine Malerei, die nicht von außen gestört wird, die von keinen narrativen oder logischen Gesetzen gesteuert wird. Aus dem Tun und dem begleitenden Sehen entstehen neue Wirklichkeiten ohne Umwege und Abhängigkeiten und ohne irgendeinen theoretischen Zwang. Mit der Fingermalerei dokumentiert Bronner seine Vorstellungen von persönlicher Freiheit und von Selbstbestimmung. Das in die Farbwahl Vorlieben, Erinnerungen einfließen können versteht sich von selbst. Der Malprozess wird für den Künstler, aber auch für den zuschauenden Betrachter, zu einem spannenden malerischen Ereignis mit offenem Ausgang.
Es bleibt für jeden Künstler die Entscheidung zu treffen, wann ein Kunstwerk fertig ist und wann nicht. Führt ein weitere Schritt zur Optimierung der Aussage des Bildes oder verringertes seine Qualitäten. Dieses Geheimnis kann nur mit der Erfahrung eines Künstlers erklärt werden. Auch Bronner profitiert von dieser wichtigen Berufserfahrung als bildender Künstler. Denn die Fingermalerei reizt immer weiter, nun doch noch den einen oder anderen farbigen Tupfer in das Bild zu setzen, um dieses letztlich noch einmal zu verändern. Diese Entscheidung kann nicht am Gegenstand oder dem Vorbild getroffen werden, da die Technik eine genuine und keine nachrangige im Sinne der Reproduktion von etwas ist. Studio und Atelier helfen nicht weiter, auch nicht die eventuelle Diskussion mit anderen. Die Entscheidung ist eine innere, die durch das Auge erzielt wird.
Werke
In den Bildern und Skulpturen von Oscar Bronner fließt die Wirklichkeit des Bildes mit seiner physischen Realität zusammen. Eine neue ästhetische Realität entsteht durch die Werke. Bilder wie Plastiken sind zwar abstrakt aber doch sehr taktil angelegt. Sie präsentieren sich nicht als Repräsentanten von etwas anderem, sondern als sehr haptische Gebilde, die nur in ihrer eigenen Sprache zu erfahren sind. Die Punkte könnten Buchstaben sein, die in die Freiheit der Unleserlichkeit entlassen worden sind. Eine abstrakte skripturale Malerei zeigt Bewegungsabläufe auf, die wir auch beim Lesen von Gedichten erfahren. Dabei ist jede Arbeit immer überschaubar, sie verliert sich nicht in uneinsichtigen Geheimnissen. Die Werke sind offen und von einem starken Aufforderungscharakter aus der Stille heraus geprägt. Natürlich ist die Fingersetzung auch eine gestische, nachvollziehbare, minimierte Haltung. Diese verhindert die große Gestik und führt zu einer selbstreflektierenden Beschreibung als Umschreibung.
So wie aus dem Tun eine Vision hervorwächst, wird der Bertachter unmittelbar in diesen Prozess ohne Ende involviert. Aus der „idea“ ist eine bildnerische Vision als bildnerische Praxis geworden, die als leise, manchmal auch introvertierte Nachricht verstanden werden kann. Dunkle Hintergründe und leuchtende Farben, Bildbetonungen und ein allgemeines „all-over“ stoßen in dem Oeuvre aufeinander. In den frühen blumenartigen Werken wird die Darstellung nicht auf dem Bildträger zentriert. Erst in den letzten Jahren kristallisieren sich Bildzentren heraus, die an Landschaft, Natur, Mineralogie und anderes erinnern. Dieser Erinnerungscharakter, der vom Betrachter bestimmt wird, analog zur „opera aperta“, dem offenen Kunstwerk von Umberto Eco, gründet die Spannung, die beim Lesen der Bilder sofort gespürt wird.
Die Bilder vermitteln eine leise positive Harmonie, die eine Weltsicht bestätigen, die nicht von den großen Gegensätzen getragen wird. Dennoch sind sie nicht als Flucht in eine Idylle jenseits von Politik und sozialen Gegebenheiten zu sehen. Sie sind eine Ergänzung dieser Wirklichkeiten, aus denen der Künstler ausgebrochen ist, um, zu sich selbst zu finden, um seine Subjektivität auszutragen. Die Bilder durchleuchten diese Berichte des Tages und überführen Erfahrungen in eine neue Sicht. Das Leuchten ist kein Bildlicht, das einzelne Teile einer Komposition hervorheben soll, sondern ein durch die Technik der Fingermalerei entstehenden Leuchten aus den vielen Farbschichten übereinander. Es ist kein lasierendes Licht, wie bei der Ölmalerei, sondern ein bewusst gesuchtes und aufgebautes Leuchten, so als ob das Bild seine innersten Charaktere preisgibt. Die Kunstwerke werden zu Partnern des Künstlers. Er gibt ihnen keine Titel, sondern er individualisiert und datiert zugleich jedes Werk mit dem Datum seines Entstehens an einem Tag. Der Umgang mit Farbe ist ein sehr umsichtiger. Beliebiges Aufeinanderhäufen von Farben führt zu immer dunkleren, bis zuletzt schwarzen Bildern. Bronner versteht es über die Bildformen die Ausdrucksfähigkeit der Farben aber nicht zu schwächen, sondern zu stärken. Das Lichthafte ist eine wesentliche Qualität der Bilder.
Die Kunstwerke sind Bewegungen in eine andere Welt. Das gilt für die Bilder als prozessuale Gestaltformen ebenso wie für die neuen Skulpturen. Bronner hat am Ende seines New Yorker Aufenthaltes alle seine Skulpturen durch ein Unglück verloren. Doch durch die enge Zusammenarbeit mit Fritz Wotruba in Wien, hat sich ein besonderes Interesse für die Plastik eingestellt. In den Arbeiten trennt er sich von den Blockhaften Figuren seines Mentors, die ohne Bewegung aus sich selbst heraus argumentieren. Er lässt sie Bewegungen ausführen, die den Raum optisch durchdringen. Wie in den Bildern pulsieren die Formen miteinander. Sie kreisen umeinander, sie mischen sich, sie drehen sich. Sie sind stets in Bewegung und meiden eine definitive Ruhestellung. Diese Bewegungsabläufe sind aber nicht mechanischer Natur sondern private Setzungen als Wirklichkeitserweiterungen.
Die Privatheit drückt sich auch dadurch aus, dass Bronner, bedingt durch die Länge seiner Arme, keine riesigen Formate malt. Alle seine Bilder sind auf einen Blick zu erfassen. Sie bestimmen die ästhetische Distanz wie von selbst. Deshalb ist der Vorgang mit dem Lesen ein vergleichbarer bei der Betrachtung. Jedes Bild ist wie eine Poesie mit unbekannten Inhalten. Jedes Bild ist ein Verlauf, eine Durchdringung. Aus äußeren Bewegungen während des bildnerischen Prozesses wird eine innere Bildbewegung. Die Prozessfähigkeit wird ausgelotet und als die eigentliche existenzielle Qualität des Bildes manifest. Die klassische Malerei wird von Bronner damit in Frage gestellt; nicht als Vorwurf sondern als eine neue Option der Malerei als bildnerisches Denken.
Visuelle Launen präsentieren sich wie musikalische Notationen, die wie beschwingt die Leichtigkeit des Seins ( Milan Kundera ) überbrücken. Dennoch verhält sich das Bild neutral, da die eigentliche Nachricht sich im Bild immer wieder neu generiert. Eine starke Zeitlosigkeit ankert in jedem Bild. Kunst wird zur Ruhe, Selbstreflektion ohne eine notwendige ästhetische oder wirtschaftliche Begründung. Die Freiheit und selbstverständliche Daseinsform des Bildes lässt die Zukunft als ein bisher nicht Geschautes näher treten. Aus der autobiographischen Punktierung strahlt eine große Ruhe in die Welt. Die Bilder vermitteln ein intimes, quasi erotisches Verhältnis zur Malerei, was durch die zart und vorsichtig tupfenden Finger belegt ist. In dieser Offenlegung liegen auch die Fragen an die Betrachter.
Wer mit einem oder mehreren Bildern des Künstlers lebt, erfährt zu Hause täglich neue Bilder. Wie ein Spiegel argumentieren sie die Probleme eines jeden Tages. Sie reagieren auf den sich immer wieder verändernden emotionalen Zustand seiner Besitzer, sie zeigen sich jeden Tag als neu und changieren bei unterschiedlichen Lichtverhältnissen. Die Werke sind keine leblosen, distanzierten Setzungen, sondern optisch empfindsame aber dennoch vitale Begleiter im Alltag eines jeden Tages.