Texte

Über das Entstehen von Bildern, Zeitungen und Schubladen

Oscar Bronner, 2013

Eine briefliche Anfrage einer österreichischen Zeitung vor mehr als 30 Jahren: Man plane eine Artikelserie über Aussteiger und wolle mich als eines der bekannten Beispiele, nämlich als Gründer von trend und profil, der jetzt als Maler in New York lebt, dazu interviewen. Ich antwortete, dass ich in diese Serie nicht passe, da ich mich nicht als Verleger verstehe, der ausgestiegen ist, sondern als Maler, der nur für einige Zeit in die Zeitungswelt eingestiegen war.

So flapsig könnte ich heute wohl nicht mehr antworten. Daher hier der Versuch einer Selbstbeschreibung: In welche Schublade gehöre ich? Bin ich ein erfolgreicher Zeitungsverleger, der ein Hobby intensiv auslebt, in meinem Fall das Malen? Oder bin ich ein erfolgloser Maler, der als Brotberuf gelegentlich Zeitungen gründet? Es gibt unter den Künstlern, die auch mit anderen Tätigkeiten erfolgreich waren, große Vorbilder wie zum Beispiel Peter Paul Rubens, der neben seiner fulminanten Malerkarriere seinem Land wertvolle Dienste als Diplomat leistete.  Oder den Schweizer Dichter und Maler Salomon Gessner, der nebenbei einen Verlag betrieb und 1780 die Zürcher Zeitung gründete, aus der in Folge die Neuer Zürcher Zeitung wurde.

Meine Berufsvorstellung als Heranwachsender: Maler, Schriftsteller und Regisseur. Mit einem Vater, der als Autodidakt unter anderem Schriftsteller, Komponist und Theatergründer geworden war, kam die Idee eines Studiums gar nicht erst auf. »Learning by Doing« war die Devise. Also versuchte ich mich nach der Matura als Regieassistent, dann begann ich mit Journalismus, um die Angst vor dem weißen Papier zu verlieren – und um meinen Lebensunterhalt zu verdienen.

In meiner Freizeit schrieb ich Dramatisches, auch etwas Prosa, und malte. Niemand weiß, wie viel Talent als Schriftsteller in mir tatsächlich vorhanden war, nach einiger Zeit jedoch hatte ich das Gefühl, dass ich es durch die journalistische Arbeit profanisiert hatte. Ich vernichtete die schriftstellerischen Versuche, gleichzeitig verlor ich das besondere Interesse am Theater. Also konzentrierte ich mich aufs Malen. Mein väterlicher Freund und Schachpartner aus dem Café Hawelka, Kurt Moldovan, half mir mit Tipps und Kritik.

Der Journalismus hatte zwar mittlerweile seine ursprünglicheFunktion als Vorbereitung für die Schriftstellerei verloren, aber ich konnte erste journalistische Erfolge verzeichnen. Gleichzeitig stieg die Frustration über die triste mediale Situation, in der man damals als Journalist arbeiten musste. Also beschloss ich, ein Nachrichtenmagazin zu gründen. Um zu Geld zu kommen und Know-how zu erwerben, gründete ich eine Werbeagentur, entdeckte dadurch eine verlegerische Marktlücke, gründete mit 26 Jahren das Wirtschaftsmagazin trend und schuf so die Infrastruktur, und damit die Startrampe, für profil.

In dieser Zeit kam ich nicht viel zum Malen, »Learning by Doing« hat sich von der angedachten künstlerischen Tätigkeit in andere Richtungen verlagert,  da ich als Eigentümer, Geschäftsführer und Herausgeber fungierte, ohne eine Ahnung von Betriebswirtschaft, Management oder Magazinjournalismus zu haben.

Die Profis der Großverlage ließen mich anfangs gewähren, weil sie meinem Projekt keine Chancen gaben. Als es nach Erfolg aussah, versuchten sie, mich mit Konkurrenzmagazinen aus dem Markt zu drängen. Da das nicht gleich gelang, änderten sie die Strategie: Ich bekam ein Angebot, das ich nicht ablehnen konnte. Ich verkaufte die Mehrheit des Verlags undübergab die restlichen Anteile an die Mitarbeiter.

Nach dieser für mich ziemlich turbulenten Zeit konnte ich endlich wieder reflektieren. Ich war zufällig Journalist geworden, woraus sich mit viel Glück eine Karriere entwickelte. Um diese wurde ich zwar beneidet und ich war durchaus stolz auf das Erreichte, gleichzeitig spürte ich eine gewisse Frustration, da ich meine künstlerischen Ambitionen nicht ausgelebt hatte.

Ich war 31 Jahre alt und beschloss einen Neuanfang. Erstmals verfügte ich über Geld und erfüllte mir damit den Wunsch, die künstlerische Seite in mir auszuloten. Zu der Zeit beschäftigte ich mich primär mit Bildhauerei. Ich zeigte Fritz Wotruba meine Arbeiten und fragte, ob ich bei ihm studieren dürfe. Er antwortete, dass die Akademie für die jungen Studenten primär als Arbeitsplatz diene. Wenn ich den nicht brauche, möge ich in meinem Atelier arbeiten und er wäre bereit, sich die Werke anzusehen und mit mir darüber zu diskutieren.

Ich nahm das Angebot dankbar an, leider kam es wegen seines frühen Todes nur einmal zu so einem Gespräch. Dieses und vor allem auch die vielen Diskussionen mit meinem Freund Karl Prantl machten mir klar, dass ich nicht deren sinnliche Beziehung zu Stein hatte. Ich wechselte zu Bronze, schließlich fand ich in Holz mein Material.

Nach mehr als vier Jahren Arbeit in der Dreidimensionalität kam ich – mittlerweile in New York lebend – wieder zur Malerei zurück. Sie hatte sich unter dem Einfluss des Bildhauerns grundlegend geändert: Stand früher der Inhalt im Vordergrund – als hätte ich meine literarischen Ambitionen ins Bild gezwungen –, ging es nun um die Materialität der Farbe. Ich verwendete die Leinwand als Palette, auf der ich die Farbe vermischte, anfangs mit dem Pinsel, dann mit den Fingern – bis heute. Es begann mit geometrischen Bildern, dann konzentrierte ich mich auf klassische Sujets wie Blumen, Landschaften, Porträts und Akte, um heute wieder gegenstandslos zu malen.

Ab 1980 zeigteich meine Bilder in Einzelausstellungen und Ausstellungbeteiligungen, unter anderem in New York, Washington, Paris, Mailand, Düsseldorf und Wien. Ich war kein Sensationserfolg, dafür fehlt mir auch das Talent zur Selbstinszenierung. Aber ich war mit meiner bescheidenen Karriere zufrieden, immerhin konnte ich vom Verkauf der Bilder leben.

Nach 13 Jahren in New York registrierte ich, dass die sechs Monate, die ich ursprünglich für diesen Aufenthalt vorgesehen hatte, abgelaufen waren, und peilte meine Heimkehr nach Wien an. Aber ich hatte 13 Jahre lang nicht nur die Stadt New York genossen, sondern auch die tägliche Lektüre der New York Times. Und die Aussicht, diesegegen die damals vorhandenen österreichischen Zeitungen einzutauschen, schreckte mich ab.

Anfangs nur spielerisch überlegte ich, ob man die Situation nicht ändern könnte und nach einigen Gesprächen und Analysen kam ich zum Schluss, dass es möglich wäre, eine ordentliche Zeitung zu gründen. In mir entwickelte sich ein Konflikt: Einerseits wollte ich nicht mit dem Malen aufhören, andererseits merkte ich, dass die Zeitung ohne mich nicht entstehen würde.

Fritz Molden, dem ich nach einer durchzechten Nacht, in der wir heftig über Kurt Waldheim gestritten hatten, anvertraute, dass ich Platz für eine liberale Tageszeitung sehe, bestand darauf, dass es dann wohl meine Pflicht sei, die Gründung zumindest zu versuchen. Er sei bereit, mir dabei zu helfen.

Tatsächlich entwickelte ich eine für mich bis dahin unbekannte Stimmung: Wenn es nur am mir liegt, ob sich in Österreich die Zeitungslandschaft zum Besseren verändert, darf ich mich dann so einer Aufgabe entziehen? Ich fragte mich, was ich mir eines Tages mehr vorwerfen würde: Es nicht einmal versucht zu haben, eine Qualitätszeitung zu gründen – oder fünf Jahre lang wenig oder gar nicht gemalt zu haben. Denn in meiner Naivität war ich der Meinung, in dieser Zeit das Projekt zum Erfolg zu führen und anschließend operativ in andere Hände übergeben zu können, bei trend und profil hatte es ungefähr so lange gedauert. Ich war Mitte 40 und hatte ja noch viel Zeit.

Überlagert waren all diese Überlegungen vom Umstand, dass ich damals gerade eine kreative Krise durchlebte und von Selbstzweifel geplagt war.

Also stürzte ich mich ins Abenteuer, wieder war »Learning by Doing« angesagt: Diesmal war ich Eigentümer, Geschäftsführer und Chefredakteur, ohne irgendeine Erfahrung in einer redaktionellen oder kommerziellen Führungsfunktion einer Tageszeitung zu haben.

Ich spielte mit dem Gedanken, die Gründung des Standard zum Kunstwerk zu deklarieren. Tatsächlich war mein Zugang bei der Gründung sicher mehr künstlerisch als kommerziell. Ich ließ von der Idee ab, da ich dieses ohnehin sehr fragile Abenteuer nicht mit einer Diskussion über meine persönliche Befindlichkeit belasten wollte.

Aus den fünf Jahren wurden 20, dank eines Partners, der nach mehreren Management-Wechseln die Lust an diesem Projekt verlor, dank einer neu entstandenen gewaltigen Marktkonzentration im Konkurrenzumfeld, dank des Chefs meiner Hausbank, der mir die Zeitung aus der Hand nehmen wollte, sobald der Erfolg erkennbar war und dank einiger Rezessionen.

So musste ich die Rückkehr zur Malerei immer wieder verschieben, aber paradoxerweise half mir dieser frustrierte Wunsch bei der Durchsetzung des Standard: In meinen zahlreichen Auseinandersetzungen mit übermächtigen Partnern und Gegnern war ich sicher sturer, als es ein professioneller Verleger gewesen wäre. Denn eine Niederlage bei diesen Pokerrunden wäre für mich zwar traurig, aber keine existenzielle Katastrophe gewesen. Ich hätte einfach wieder malen können, müssen, dürfen. Nur das Gefühl der Verantwortung für einige hundert Mitarbeiter ließ mich den Bogen nicht überspannen.

Meine Hoffnung, trotz Zeitung in der Freizeit weiterzumalen, erwies sich als einer meiner vielen Irrtümer. Ich probierte es anfangs, aber bald überwog die Frustration, wenn ich bei der Beschäftigung mit einem malerischen Konzept nicht am nächsten Tag weitermachen konnte, sondern längere Pausen einlegen musste. Da war es einfacher, gar nicht zu malen. Ich hörte sogar mit Galeriebesuchen auf, weil mich die Konfrontation mit zeitgenössischer Kunst zu sehr daran erinnerte, dass ich mich aus dem Spiel genommen hatte. Stattdessen beschäftigte ich mich mehr mit den Klassikern der Malerei.

Bei der 20-Jahres-Feier des Standard teilte ich den Mitarbeitern schließlich mit, dass ich die operative Tätigkeit übergeben werde, um wieder zu malen.  Bald stand ich aufgeregt im Atelier, immerhin war ich Mitte 60, hatte 20 Jahre lang nicht gemalt und wusste nicht, was mich erwartete. Umso größer war die Überraschung, es dauerte nur kurze Zeit, bis ich daran anknüpfen konnte, wo ich seinerzeit aufgehört hatte. Lediglich die Sujets waren anders, nämlich gegenstandslos.

Bei aller neu entfachten Euphorie – ich hatte nicht vor, meine Bilder je wieder öffentlich zu zeigen. Ich war der festen Überzeugung, dass dieser Zug abgefahren war, da ich in einer anderen Schublade steckte: In meiner Biografie dominierte mittlerweile der Zeitungsmensch so eindeutig, dass kaum ein Betrachter die Bilder unbefangen würdigen würde. Es war für mich befriedigend genug, die Bilder zu malen und sie allenfalls Freunden zu zeigen. Als ich auf die wiederkehrende Frage nach einer Ausstellung sagte, dass ich keine beabsichtige, hörte ich sinngemäß immer öfter, ich möge nicht so feige sein und mich stellen.

Voilà.

PS: Ich habe mir fest vorgenommen, keine Pläne mehr zu schmieden oder gar zu verkünden.

 

Wien, 2013