Florian Steininger, 2013
Oscar Bronner verbindet in seiner Malerei Gegenständlichkeit mit freimalerischer Artikulation. Seit den 1970er Jahren entwickelt der Künstler das Bildmotiv aus der Farbe heraus, ob Blumen, Landschaft, Figur oder abstrakte Formen. Entscheidend ist das prozessuale Moment, das über dem motivisch Inhaltlichen steht. Der Künstler begreift die Leinwand als Farbpalette, aus deren koloristischen Grundsubstanzen das Bild generiert wird. Zu Beginn noch mit dem Pinsel arbeitend, gestaltet Bronner seit Anfang der 1980er Jahre seine Leinwände mit den Fingern und platziert dabei den Bildträger horizontal für den Malvorgang. Bronners Gemälde zeugen von einem starken Bekenntnis zu den elementaren Kriterien dieses Mediums.
»Ermalte Eisblumen«
Zwischen 1979 und 1981 entsteht der umfangreiche Werkkorpus der Blumen-Bilder, wobei das Sujet lediglich als formale Lösung für den Malakt zu sehen ist. Figur und Grund changieren, wechseln ständig die Ebenen. Ein permanentes Vibrieren zwischen konkreter Form und freiem gestischen Index auf der Bildfläche. Man gewinnt den Eindruck, als könnte sich das Bild wieder verändern, sich selbst weiter »ermalen« oder aber sich »vermalen«. Konstruktion und Destruktion liegen nah beieinander. Das Gemälde als labiles, offenes System. Erinnert sei hierbei an Gerhard Richters radikale Vermalungen aus den frühen 1970er Jahren – als lakonisch-destruktive Antwort auf das durch »Schöpferkraft« gestaltete Bild im Abstrakten Expressionismus. Ständig werden die frisch gezogenen Spuren neu überlagert und ausgelöscht, »vermalen«. Bei Bronner ist die Geste im konstruktiven Dienste des floralen Wachstums eingesetzt, sie bleibt aber als reine Spur ebenso sichtbar, als vitale Künstlerfährte; so als würde man ihm über die Schulter blicken, wie er gerade die Farbe auf der horizontalen Bildfläche verstreicht, verschmiert, malt. Bronner verzichtet auf eine perspektivisch räumliche Übersetzung der Blumen zugunsten des Primats der Fläche. Es ist kein Blumenbeet im Garten sondern wirkt mehr mehr wie Eisblumenstrukturen auf einer Fensterscheibe, die durch die Sonnenstrahlen Lebendigkeit, Volumen und Farbe erhalten. Das Bild wandelt sich vom ursprünglich fiktiven Guckkasten mit zentralperspektivischer Abbildung der Realität zu einer Art Fensterscheibe, die einen Moment von Wirklichkeit auf ihrer Fläche aufnimmt, der aber kein bleibender, statischer ist: materiell in Form der Eiskristalle, optisch als transparente Projektionsfläche des Glases. Durch das Einschreiben des Malers selbst entsteht ein offenes Spannungsverhältnis zwischen ikonischer Darstellung und autonomer Materialität und Prozessualität der Malerei.
Doch Bronners »Glasflächen« sind stets gesättigt von malerischer Dichte; Grau- und Braunfarben absorbieren das Licht. Vor allem die ersten Werkbeispiele aus der Blumen-Serie sind von erdiger Farbgebung gestaltet, die Arbeiten von 1981 hingegen sind deutlich strahlender und blitzender. Die ursprünglich eingesetzten drei Grundfarben kommen nur mehr punktuell zum Vorschein, werden grosso modo von Braun und Grau ausgelöscht, die aus ihrer Vermischung entstehen. In diesem Zusammenhang zeigen sich verwandte Züge zu Kurt Kocherscheidts erdig diffuser Malerei. Bronner hatte auch Kontakt zum ehemaligen Mitglied der »Wirklichkeiten«. Breite, massive Pinselstriche überlagern die Leinwand, ja, sedimentieren sich aufgrund ihrer Pastosität. Bronners Spuren, mit dem Pinsel gezogen, haben ebenfalls eine markante Präsenz als breite Markierung, sind aber weniger pastos. Auch bei Kocherscheidt gilt die Dominanz der Malerei als Malerei, gefasst in gegenständliche Formen, ohne darstellend zu sein. Über Kurt Moldovan, der sein informeller Lehrer war, lernte Oscar Bronner Kocherscheidt kennen. Ihnen gemein ist jener ernsthafte, elementare Zugang zur Malerei, der sich eben in den schrofferen, meist verschlossenen und opaken Bildwelten niederschlägt.
Nennenswert ist auch auch Bronners kurzzeitiges künstlerisches Kapitel als Bildhauer. Er begann mit 31 Jahren bei Fritz Wotruba an der Akademie der Bildenden Künste als »außerordentlicher Schüler« zu studieren, was hieß, dass Bronner zu Hause arbeitete und seine Ergebnisse dem Professor zeigte. Eine abstrakte Skulptur aus den 1970er Jahren ist ein repräsentatives Beispiel dafür. Wie auch in seinen Gemälden ist eine Bipolarität zu erkennen: zwischen dem organisch-Gegenständlichen und dem Abstrakten. In der Skulptur kommt der Gegensatz von konstruktiv-Geometrischen und offenem-Weichen hinzu, die einander in ihrer verschlingenden Drehbewegungen behindern, um eine harmonische Einheit zu erlangen. Diese Verschlingungsprozesse sind auch in Bronners aktuelleren Gemälden ab 2011 wieder Thema. Durch die formale Verdoppelung an der Skulptur wird dieses Spannungsgefüge symmetrisch gespiegelt. Wie bei vielen in der Wotruba-Klasse (Avramidis, Pillhofer, Albrecht, u.a.) spielt die aufrecht strukturierte, in sich geschlossene Skulptur eine elementare Rolle. Figurative Ausformungen werden zugunsten objektiver abstrakter Volumina deutlich reduziert.
Landschaftliche Fingermalereien
Auf die Blumen-Bilder folgen 1983 großformatige Landschaften, die nun mittels reiner Fingermalerei entstanden sind. Dadurch intensiviert Bronner den direkten Kontakt zwischen ausführender Hand und Bildträger, ohne ein Malinstrument – wie zuvor Pinsel – zwischengeschaltet zu haben. Im Unterschied etwa zu Arnulf Rainer, der die Fingermalerei als expression pure radikal in den 1970er und 1980er Jahren eingesetzt hat – so vehement, dass sogar die Fingerkuppen bluteten – verwendet Bronner die Finger als Malinstrument ein, um eine Landschaftsimpression zu erzielen: Wälder, Felder, ein exponierter Baum im Vordergrund, dahinter ein Teich, ein schemenhafter Horizont, die »ermalt« werden. Wenn auch ein impressionistischer Eindruck aufkommen sollte, so ist der Ansatz der Impressionisten grundlegend unterschiedlich. Monet destillierte den Eindruck der gesehenen Natur zu einer bestimmten Zeit und Temperatur in Farbflecken, in seinem Spätwerk sogar im hohen Abstraktionsgrad, sodass nur mehr diffus Differenzen zwischen Figur und Grund wahrgenommen werden können. Das Bild mutiert zu einem flächigen Farbfeld. Bei Bronner ist ein malerisches Gefüge vorherrschend, das Landschaft hervorbringt. Zuerst kommt die Malerei, dann das Motiv. Dieter Ronte dazu: »Es geht um die Schöpfung der Malerei, nicht um die Schöpfung Landschaft.« Einen radikal-destruktiven Zugang zu Malerei und Landschaft hatte Gerhard Richter in seinen Parkstücken von 1971. Wie auch in den abstrakten Vermalungen ist die Geste zersetzend und nicht konstruktiv. Richter legt in den Parkstücken nach fotografischer Vorlage ein durchwegs realistisches Landschaftsbild an, zerstört im zweiten Arbeitsschritt jedoch die Illusion durch grobe Farbschlieren. Erwähnt seien in diesem Kontext auch Richard Gerstls Landschaftsbilder von 1908, deren Formen durch breite Pinselfahrer und Fingerspuren expressiv verwildert werden. Prozess, Ausdruck, direkter Kontakt mit dem Malgrund und pure malerische Materialität destruieren bei all diesen Beispielen den Charakter des Bildes als Fenster der abgebildeten Natur.
Aktuelle Bilder
Nach einer figurativen Phase der Malerei beendete Oscar Bronner berufsbedingt – er gründete 1988 den Standard – für längere Zeit seine künstlerische Tätigkeit. Ende 2009 hat Bronner jedoch die Malerei wieder aufgenommen und intensiv betrieben. Während die früheren Blumen-Bilder auf dem Boden liegend entstanden sind, werden die Werke seit den landschaftlichen Fingermalereien von 1983 bis zu den aktuellen Arbeiten ausschließlich auf dem Tisch gemalt. Dadurch ist ein bequemeres und ökonomischeres Malen gewährleistet. Zuerst ist die zu bemalende Leinwand – Bronner verwendet ausschließlich aus den USA importierten Cotton Duck – als horizontale Arbeitsfläche zu verstehen, die der Künstler von allen vier Seiten behandelt, ein Feld mit angereicherten Malspuren. Dennoch impliziert Bronner bereits die vertikale Bild-Struktur, indem er etwa in einer der ersten Serien stelenförmige Gebilde herausarbeitet. Dynamisch, wie Windhosen, schrauben sich die malerischen Stelen empor. Außerdem überprüft der Künstler das Werk nach seiner »Bildwürdigkeit« durch seine Betrachtung an der Wand als Gegenüber. Wie deutlich ist Raum spürbar, wie homogen das Figur-Grundverhältnis, wie überzeugend die Komposition? Mal ist die Farbe pastoser, mal dünnflüssiger in ihrer Konsistenz. In umfangreich angelegten Bildzyklen moduliert Bronner ein bestimmtes formales Thema in unterschiedlichen Farbkonstellationen und Bildgrößen. In ihnen ist meist die Basis für die darauffolgende Serie angelegt, wodurch sich ein durchwegs harmonisches Ineinander der Werkblöcke ergibt. So schiebt sich im folgenden Kapitel ein Quadrat ins Bild, das die langgezogenen Figuren unterlegt. Eine Spannungsverhältnis zwischen organisch Offenem und geometrisch Geschlossenen tritt ein. Das Quadrat wird verkürzt, verzerrt in den Raum gestellt, seine kantig lineare Erscheinung löst sich im Meer der freien Malspuren atmosphärisch auf. Die Farbfleckentextur erweckt den Eindruck, als hätte der Künstler aktiv mit der Farbe gespritzt und geschüttet, jedoch sind es lediglich die Spuren des intensiven Verreibens mit den Fingern. Geradezu skulptural verbinden sich bauschige Formationen miteinander, führen einen intimen Tanz im monochromen Bildraum auf. »Räumlichkeit« versteht Bronner hierbei als innerbildliche und nicht von der Natur abgeleitete Dreidimensionalität. Farbe generiert Raum. Das Gemälde zeigt sich als abstraktes Medium. Runde Keilformen penetrieren buschige Ringe, weiße, an Watte erinnernde Formen verbinden sich wie Yin und Yang zur harmonischen Einheit. In einer Werkserie ist, wie in den Landschaftsbildern der frühen 1980er Jahre, eine horizontale Zone eingeschoben; auf ihr überlagern sich die abstrakten Volumina mit stachelig samtener Oberfläche. In den aktuellsten Beispielen mutieren die informellen Gebilde zu fingerartigen Strukturen, die eine dunkle Form umklammern. Stets handelt es sich um autonome malerische Resultate mit zeichenhafter Aussage. Es geht nicht um das Motiv der Hand selbst, oder das eines inniglichen Paars, sondern um deren mentalen Zustand – etwa den des verschlungen Seins – in Malerei verschlüsselt.
Oscar Bronner ist ein gutes Beispiel, was es heißt, in einer Sache konsequent zu sein, egal in welcher Schublade gerade operiert wird, ob als Zeitungsmacher oder als Maler. Entscheidend ist ein ausschließliches Einlassen auf das jeweilige Medium, mit ernsthafter Verantwortung ohne Koketterie und Gesellschaftsgläubigkeit.
- Dieter Ronte, in Ausgangspunkt Landschaft, Wien 1985