Paul Kruntorad, 1988
In der Wiener Wohnung Oscar Bronners hängen einige unsignierte Ölkreidezeichnungen, Menschenköpfe auf Vogelköpfe reduziert, die Nasen schnabelartig, die kleinen Augen listig in die Welt blickend. Sie wecken Reminiszenzen an die „Cobra“ – Gruppe, und der Hausherr erinnert sich freimütig an den Einfluss, den sie auf ihn gehabt hat. Selbstkritik hat ihn damals, vor 25 Jahren, daran gehindert, eine Ausstellung anzustreben, auch für die schriftstellerischen Versuche hat sie die Angstschwelle zu hoch gelegt. Die frühen Zeichnungen zumindest sind ausgeführt, „fertig“, die Romane und Theaterstücke sind Fragmente geblieben, die aus der Schublade nie hinausgelangt sind.
Bronner hat sich dann als Journalist einen Namen gemacht, die Gründung, der Ausbau und der Verkauf des heute mehr denn je erfolgreichen österreichischen Nachrichtenmagazins haben ihn in die beneidenswerte Situation versetzt, sich seinen bildnerischen Neigungen ohne Rücksicht auf den Kunstbetrieb widmen zu können. Er schnitzte an Ytongblöcken (auch davon sieht man in der Wiener Wohnung einige Beispiele, primitivistische Köpfe mit eben jenem Ausdruck der Listigkeit, wie ihn die frühen Zeichnungen haben) und begann dann als Autodidakt eine eigene Maltechnik zu entwickeln. Er spritzte Acrylfarben auf Leinwand und mischte sie, bevor sie trocknen konnten.
Die erste Serie in dieser Technik, die auszustellen sich Bronner entschloss, die auszustellen sich eine renommierte Galerie bereitfand, die auszustellen ein Freund befürwortete (drei Momente, jeder für sich ausreichend, um geringere selbstkritische Hürden zu nehmen), waren – Blumenbilder. Die durcheinandergewirbelten Farben verfestigten sich stellenweise zu erkennbaren Blütenköpfen und Pflanzenstengeln, freilich wecken nur die Farben Assoziationen zu bestimmten Blumenarten, das Resultat ist weit entfernt von dem tradierten Genre. Es folgen „Landschaften“, „Porträts“, „Akte“ (Anlass dieser Überlegungen), und in der neuesten Serie kehrt Bronner zum Ausgangspunkt zurück, zu den kürzelhaften Köpfen. Die Technik hat sich etwas geändert, nicht mehr mit dem Pinsel mischt Bronner die Farben, sondern mit den Fingern. Er arbeitet sie in die Leinwand ein, auf Formaten, deren Größe von der Reichweite seiner Hände bestimmt wird, wenn er vor der aufgespannten Leinwand kniet oder steht.
Die erforderliche Geschwindigkeit des Malvorgangs bedingt eine Spontaneität, wie sie dem „actionpainting“ eignet. Dass es jeweils ein klar definiertes Sujet gibt, ordnet Bronners Malerei der Gegenständlichkeit zu. Die Spontaneität der Formfindung ist nicht total: Bronner zeichnet (nach Photographien) die Konturen auf die Leinwand, bevor er mit dem Farbauftrag beginnt. Auch die Gegenständlichkeit hat Grenzen. Die Geschwindigkeit des Malvorganges gestattet es nicht, die Ähnlichkeit bis zu einem Trompe- L’oeil-Effekt voranzutreiben. Die räumliche Tiefe, die in allen Serien vorhanden ist, resultiert aus dem Farbkontrast, aus der Art und Weise, wie die Farben des Hintergrunds und des Gegenstands gemischt sind. Der Gegensatz (im akademischen Sinn) „warmer“ und „kalter“ Farbtöne spielt dabei eine gewisse Rolle. Überhaupt spielt alles, was man sich über die Entwicklung der Techniken der Malerei im Verlauf der Kunstgeschichte anlesen kann, eine gewisse – aber eben keine entscheidende – Rolle.
In einer Hinsicht sind Oscar Bronners Bilder (am meisten die Blumenserie) „nonrelational“, das heißt, die Komposition hat keinen Schwerpunkt, auf den sich alle Teile beziehen. In einer anderen sind sie „representational“, abbildend, weil sie konkrete Gegenstände erkennen lassen, vor allem die Porträts, de „ähnlich“ sind, wenn auch nicht, im Sinn der akademischen Malerei, „sprechend“ ähnlich. Wenn man die Porträtierten kennt, dann erkennt man im Bild sofort das jeweils Charakteristische der Haltung, der Pose wieder. Wenn man nur das Porträt sieht, ohne mit dem Porträtierten bekannt zu sein, dann hat man immer noch den Eindruck einer unverwechselbaren Persönlichkeit. Aber Oscar Bronners Porträts sind weit entfernt davon, irgendwelche psychologischen Tiefen auszuloten, der tiefe Blick in die Seele des Individuums interessiert ihn ebenso wenig wie das Kunststück, eine erkenn- und identifizierbare Blume oder Landschaft zu malen.
Die Gegenständlichkeit hat immer gewisse emotionelle Konnotationen als Abfallprodukt – „Lyrisches“ im Fall der Blumenserie, „Elegisches“ bei den Landschaften, „Freundschaft“ bei den Porträts (auch wenn man es nicht wüsste, wird aus jedem Porträt sofort ein Nahverhältnis von Porträtisten und Porträtiertem klar). Im Fall der Akte ist es „Erotik“, geradezu handgreiflich in einigen Partien (freilich bei diesem Sujet kaum zu vermeiden). Aber die Akte sind keine Auseinandersetzung mit dem Thema Erotik, der Geschlechtlichkeit, ganz offenkundig gilt das bildnerische Interesse des Malers dem Gegensatz von „Plastischem“ (Körper) und „Geometrisch-Abstraktem“ der Rechtecke, um die herum die weiblichen Akte posiert sind. Die Perspektiven der Akte (die Vorlagen sind Weitwinkelphotographien) zielen in der Verzerrung der Proportionen, besonders bei den schweren, ja unförmigen Schenkeln (in einigen Bildern), in die Mitte des Leibes, und die Rechtecke neutralisieren diesen suggestiven Zugriff auf den weiblichen Körper.
Bronner will offensichtlich den Kuchen der Moderne essen und ihn behalten. Das Prinzip des „actionpainting“ erlaubt keine Nachbesserungen, die Auseinandersetzung mit den formalen Problemen der Abbildung erfolgt unter Zeitdruck, wenn auch immer vorher wohlüberlegt. Aber es geht ihm nicht darum, wie man die Möglichkeiten der Abbildung dreidimensionaler, beobachteter Welt in den zwei Dimensionen eines Tafelbilds noch einmal untersucht und für sich löst. Licht und Schatten interessieren ihn ebenso wenig wie die Ausgewogenheit einer abstrakten Komposition. Er ist ein hartnäckiger Autodidakt, der mit dem Einsatz seiner ganzen beachtlichen Intelligenz seine Begabung auslotet. Heutzutage, wo die Maxime gilt, dass Kunst das ist, was ein Künstler (der sich als solcher bekennt, aggressiv durchsetzt und sich damit Geltung verschafft) an Realien oder Ideen produziert, braucht man sich nicht einer Richtung zu- oder einordnen. Man kann auf verschiedenen Stühlen sitzen, wo es eben bequem oder unbequem ist.
Noch immer gibt es aber eine Qualifikation der Originalität, verstanden nicht als Erfindung von etwas Neuem, Nie-Dagewesenem, sondern als Ausprägung eines erkennbaren und unterscheidbaren persönlichen Stils. Oscar Bronners Handschrift wäre auch im Blindversuch jederzeit zu erkennen.
Das Prinzip der Duchampschen Moderne ist die Ironie, die Säkularisierung, die Entweihung der Kunst. Der moderne Künstler lächelt stets wie die „Mona Lisa“. Er bietet nicht Gewissheiten an, Erkenntnisse, sondern Zweifel, Ambivalenz. Die Moderne freilich ist eine abgeschlossene Periode, unbekümmert setzt man entweder Zitate, wiederholt also längst vergangene Auseinandersetzungen, indem man mit der eigenen Signatur einen Punkt hinter sie setzt, oder man greift die Kunstgeschichte frontal mit der geballten Kraft des Autochthonen an.
Oscar Bronner knetet die Kunstgeschichte mit seinen Fingern durch. Am Anfang musste er häufig pausieren, weil er sich beim Einarbeiten der Farbe in die Leinwand an seiner Kunst die Fingerkuppen blutig gerieben hat. Dann hat er den Schutz von chirurgischen Handschuhen entdeckt. Bei seiner Berg-und-Tal-Fahrt durch die Kunstgeschichte wird er einen Sturzhelm brauchen, um sich im Kunstbetrieb keinen blutigen Kopf zu holen.