Dieter Ronte, 1981
Die Leinwand liegt auf dem Boden. Ihre Ränder sind abgeklebt. Verdünnte Acrylfarben werden auf Leinwand gespritzt. Alle Farbe, die zu einem Bild benötigt wird, wird aufgeschüttet. Die Farben sind Primärfarben. Bronner mischt die Farben in einem malerischen Prozess auf die Leinwand. Er formt sie zu Gebilden, meist Blumenbildern. Diese Blumen entspringen der Erinnerung, sind innere Visionen. Sie reproduzieren kein Vorbild, es gibt kein Modell. Das Bild entsteht zuerst im Kopf des Malers. Das neu entstandene Bild evoziert diese Vorstellungen. Der Malprozess, er ist zeitlich terminiert durch die schnelle Trocknungsfähigkeit der Acrylfarben. Viel länger als ungefähr 30 Minuten können die Farben auf der Leinwand nicht mehr vermischt werden.
Das Malen der Bilder ist nicht jederzeit möglich. Der schnelle, unkorrigierbare Prozess ist ein starker emotionalisierender und physischer Vorgang. Dem Malen folgen Regenerationsphasen.
Maximal entstehen zwei Bilder pro Tag. Die Anlaufszeit, den Prozess des Malens zu beginnen, ist lang. Der Maler muss sich in den Zustand des „Malenkönnens" treiben lassen, ihn suchen und herausfordern. Die Intervalle zwischen den Werken sind Ruhepunkte, schöpferische Fermaten. Die Bilder sind stimmungsunabhängig, denn Sie sind ästhetisch bestimmt. Nur wenige Bilder überleben. Solche, die der Kritik nicht standhalten, werden neu grundiert und übermalt oder vernichtet.
Die Bilder des Österreichers Oscar Bronner sind alle in New York, in der Spring Street entstanden. Die hektischen Aktivitäten der Stadt sind Ausgangspunkt für die emotionale Einstimmung des Malaktes. Im Hintergrund erklingt dabei zumeist Barockmusik, das europäische Erbe Wiens. Doch nichts davon findet sich in den Bildern wieder. Bei dem feststehenden Thema Blumen in den letzten Jahren wird die Darstellung immer weniger wichtig, rückt das reine Malen an vorderste Stelle.
Alle Blumenbilder haben eine ähnliche Komposition. Diese liegt in groben Umrissen in einer Zeichnung auf der Grundierung unter den Farben. Die untere Bildpartie wird von Blättern beherrscht, aus denen Stengel herauswachsen, die Blüten tragen. Die botanische Erkennbarkeit als Blumen ist gegeben, doch ebenso groß ist die Verweigerung einer exakten Bestimmung der Flora. Das Thema ist erkennbar, aber nicht dominierend. Viel mehr ergeben sich in den Bildhälften zwischen oben und unten verschiedene malerische Strukturen. Breitgefächerte, aufragende Blattformen, Blätter, die frontal gesehen sind, stehen gegen expressivere, rundere Blütenformen, die sich in der Struktur eines Hintergrundes fortsetzen. Die Farbigkeit von oben und unten ist getrennt, die Einheitlichkeit des Bildes ist durch die nur leichten Nuancenveränderungen nicht gestört.
Die Beschreibung eines Bildes soll nicht den falschen Eindruck vermitteln, dass Bronner ein szenisches Blumenarrangement malt. Denn die Bilder entwickeln sich auf der Fläche, Perspektive ist ausgeschlossen. Bronner vermeidet jeden Naturalismus, jeden illusionistischen Anspruch, jede idealistische Überhöhung, er geht jeder naturalistischen Vesuchung aus dem Wege. Das Tabu heißt trompe l'oeuil. Für ihn ist Malerei eine Auseinandersetzung mit der Zweidimensionalität der Bildfläche und den aufzutragenden Farben.
Das ist nicht Pattern-Art, wie ein erster, rascher Blick vielleicht vermuten lässt, sondern Malerei, die die Erfahrungen der abstrakten Maler verarbeitet. Der Pinselstrichwird als Gestaltungselement sichtbar, das Mischen der Farben erfolgt nicht durch Kalkül, sondern durch die Gestik. Die glatte Leinwand wird mit Farbe beschichtet, sie erhält eine flache, dreidimensionale Oberfläche. Diese dritte Dimension ist die dosierte Quantität der Farbe. Farbe ist als plastische Materie verstanden, ebenso wie die Leinwand selbst. Durch unterschiedliche Verdünnung der Farben, unterschiedliche Grundierung und direktem Einmalen der Farben in den Bildträger wird die Leinwand mit ihrer Struktur genutzt. So dass die Farbe von ihr mehr oder weniger eingesaugt, also ebenso eine dritte Dimension hergestellt wird. Bronner aktiviert dadurch die Leinwand als wesentlichen Bestandteil seiner Malerei, weil er in seinen künstlerischen Recherchen alle möglichen Elemente der Malerei integriert. Sein Kunstwollen basiert auf analytischen Überlegungen, deren Resultate die Synthese der Ergebnisse sind.
Bronner hat die Leinwand zur Palette gemacht. Alle Farbmengen werden direkt auf der Leinwand verarbeitet. Wie ein ostasiatischer Kalligraph konzentriert sich der Maler, um dann zu explodieren. Die Malerei betont die Bewegung der Arme, es ist eine automatistische Malerei. Die Kinetik des Malvorganges involviert den ganzen Körper, so dass die Bilder selbst eine immer größere Körperlichkeit erhalten, ihre Formate neue Dimensionen gewinnen. Wie bei den Bildern Mark Rothkos versinken sowohl Maler wie auch Betrachter in die Malerei.
Die großen Formate entziehen durch ihre Dimensionen, die nicht naturgebunden sind, den dargestellten Themen jegliche literarische Bindung. Das Thema ist nur Vehikel, nicht Anlass zur Malerei, so wie es heute in der Kunst anderer jüngerer Maler zu sehen ist. Georg Baselitz zum Beispiel malt seine Themen auf dem Kopf, um sich ganz der Malerei widmen zu können. Andere implodieren in traditioneller Manier mit starken leuchtenden Farben in der Umschreibung einer thematischen Gebundenheit. Hier fügt sich Bronner ein in die große internationale Bewegung, in der das Tafelbild wieder triumphiert, in der Malerei um der Malerei willen betrieben wird.
Die neuen Kunstgedanken umgehen jegliche Hilfsmittel wie Collage oder Photographie. In Form von reiner Malerei setzen sie sich deutlich von der Kunst der sechziger und siebziger Jahre wie Minimal Art, Konzept Art oder Art and Language ab. Die Malerei betreibt keine philosophischen Untersuchungen mehr, sie beruft sich auf die Generation unserer Großväter, in denen die inneren Visionen eines Malers als Evokationen Ausdruck gefunden haben. In den Werken Bronners spiegeln sich die Erfahrungen eines Jackson Pollock wider, eines Clyfford Still und eines Mark Rothko. Das Wissen um die Wiener Abstrakten wie Mikl, Hollegha, Prachensky und besonders Rainer ist ebenso evident wie die Kenntnis der zeitgenössischen New Yorker Malerei. Die Schritte, die sich hier vollziehen, sind heute nicht vollständig auszuloten, es sind auf den ersten Blick keine revolutionären Schritte, nachdem die älteren Generationen die Tabus bereits abgebaut haben. Es sind vorsichtige, neue Überlegungen, um die Malerei wieder fest zu verankern.
So ist der eigentliche Beweggrund für diese Bilder das „Gute Bild". Bronner will keine Mission erfüllen, will nicht seine Eitelkeiten bespiegeln, keine Selbstbeweisungen antreten. Er will nur malen. Dieser Malvorgang erfolgt nach einem von Bronner entwickelten Prinzip, dem Nass-in-Nass-Mischen von Acrylfarben, ein Prozess mit jenen schnellen Farben, wie er sonst von Aquarellisten mit Wasserfarben durchgeführt wird. Doch das Arbeiten ist ein offenes Rennen, der Malprozess bringt Überraschungen mit sich. Das Darstellen wird zum Sehen, das Erlebnis visualisiert Magie und Faszination. Die Resultate kumulieren in der Serie. Obwohl jedes Bild autonom konzipiert ist, als singuläres Ereignis, ist es nicht aus dem Konzept der Serie wegzudenken.
Die Kunst unserer Zeit lebt seit dem Ende des 19. Jahrhunderts immer mehr von Autodidakten, also jenen, die nicht die Bindungen zur Akademie haben. Bronner gehört zu jener Gruppe, deren Berufswunsch, Künstler zu werden, erst über Umwege eines bürgerlichen Berufes, aber nicht durch die Akademie erreicht wurde. Autodidakt heißt aber ein unbekümmertes Umgehen oder die Selbstaneignung, das Experimentieren mit Materialien, wie es Bronner viele Jahre getan hat; mit dem Ziel des sich Verbesserns, des Beherrschens der Materie Farbe. Frühere Erfahrungen mit Skulptur, das Erfassen und Begreifen eines Werkstoffes als Materie haben sich in der Bronnerschen Maltechnik durchgesetzt. Die Auseinandersetzung mit diesem Material in der Aktion, das Brechen der ursprünglichen Primärfarben versteht der Künstler nicht nur als physischen, sondern auch als geistigen Prozess.
Die Bilder haben alle eine gebrochene Farbigkeit. Sie leben von der Vermischung, dem Komplementären. Das leuchtende primäre Acryl wächst nur in wenigen Partien durch das Bild, es ist ihm unterlegt; er arbeitet damit, ohne jemals ins Schreiende und Grelle auszubrechen. Bronner nähert sich in den Bildern mit vorsichtigen Formulierungen, mit fast monochromen und dennoch ungeheuer farbigen Vorstellungen seiner Imagination. Er leugnet das Grelle New Yorks, er verarbeitet die Erfahrungen mit jenem Architekturkonglomerat feinster monochromer Differenzierungen in Grau der melancholischen Stadt Wien. Autobiographie durchzieht die Bilder und bestimmt ihren Gesamteindruck.
Man kann Bronners Ideen über Malerei verdeutlichen, indem man sie mit den Farbüberlegungen zweier historischer Künstler konfrontiert: Der italienische Divisionist Giovanni Segantini (1858-1899) schreibt in einem Brief über seine Malweise: „Sind auf der Leinwand die Linien festgelegt, die das, was ich geistig will, ausdrücken, so mache ich mich weiter an die sozusagen allgemeine Kolorierung als möglichst eng an die Wirklichkeit gehaltene Vorbereitung. Dazu benutze ich dünne, möglichst lange Pinsel, und ich beginne auf meiner Leinwand loszuarbeiten mit feinen dünnen und pastosen Pinselstrichen, indem ich stets zwischen jedem Pinselstrich einen Zwischenraum lasse, den ich mit den Komplementärfarben ausfülle, und zwar möglichst, wenn die Grundfarbe noch frisch ist, damit das Gemälde zerflossener wirkt. Das Mischen der Farben auf der Palette führt dem Dunkeln entgegen; je reiner die Farben sind, die wir auf die Leinwand bringen, um so besser führen wir unser Gemälde dem Licht, der Luft und der Wirklichkeit entgegen"2. Natürlich folgt Bronner nicht den Überlegungen Segantinis, er will nicht Wirklichkeit abbilden, und doch hat er eins mit ihm gemeinsam: er versucht die Farben auf der Leinwand zu verarbeiten. Die Divisionisten suchen das Licht, die Strahlkraft der Farbe, Bronner dagegen bricht sie, und zwar nicht auf der Palette, aber auf der Leinwand. Das Lichtvolle, das Glühende der Farben wird vermalt; sie sind nur noch spürbar als durchschimmerndes Geheimnis.
In den Briefen Van Goghs, die vom Malen handeln, haben die Farben den Vorrang. 1882 schreibt er: „Es ist im Malen etwas Unendliches… In den Farben sind verborgende Dinge von Harmonie oder Kontrast, Dinge, die durch sich selber wirken, und die man durch kein anderes Medium ausdrücken kann" (I 402). Und: ,,Farbe drückt durch sich selbst etwas aus" (II 235)3. 1885 teilt er seinem Bruder mit, „daß ein Maler gut daran tut, wenn er, anstatt von den Farben in der Natur auszugehen, von den Farben auf seiner Palette ausgeht. Wenn man zum Beispiel einen Kopf malen will, und man sieht die Natur, die man vor sich hat, einmal gut an, dann kann man denken: Dieser Kopf ist eine Harmonie von Rot-Braun, Violett und Gelb, alles gebrochen; ich werde ein Violett, ein Gelb und ein Rotbraun auf meine Palette setzen und sie einander brechen lassen" (ll 234)4. Bei Van Gogh finden wir jenen abstrahierenden Einsatz von Farbe bis zur dreidimensionalen Schichtung. Er schreibt: „Den Ausspruch ,ne pas peindre le ton local' finde ich dermaßen richtig, daß ich tatsächlich lieber ein Bild sehe, das tiefer gestimmt ist als die Natur, als eines, das genauso hochgestimmt ist wie die Natur. Die Bedeutung des Worts ,ne pas peindre le ton local' ist vielseitig und stellt es dem Maler frei, Farben zu suchen, die ein Ganzes bilden und in Beziehung zueinanderstehen..."5
Bronner sucht das Magische, das Geheimnisvolle. Die Bilder sind Reflexionsebenen für den Betrachter. Sie erlauben das In-sich-Versenken, den inneren Monolog auf der Suche nach Qualitäten unserer Existenz, die nicht in der unmittelbaren optischen Erfahrung unserer Umwelt verankert sind. Über die reine Malerei hinaus deckt die Bronnersche Bildsprache neue Welten auf, deren Strukturen im Kontext der Meditation zu finden sind. Das Handwerkliche wird zurückgelassen, zur Nebensache, es ist lediglich die Grundlage für einen geistigen Kosmos, der den Radius unseres Wissens vergrößert, damit den Kreis unseres Bewusstseins dehnt und so auch die Berührungspunkte mit dem Unbekannten neu definiert.
Zur Technik vgl. Jane E. Nisselson. In: Ausstellungskatalog Oscar Bronner, Galerie Heike Curtze, Düsseldorf - Wien 1980.
Giovanni Segantinis Schriften und Briefe, hrsg. von Bianca Segantini, Leipzigo. J. (1900), S. 147.
Zit. nach Kurt Badt, Die Farbenlehre Van Goghs, Köln 1961, S. 13.
a. a. O., S. 13.
a. a. O., S. 33.