Dieter Ronte, 1985
Oscar Bronner arbeitet in Serien. Auf die Serien der Blumen, der Männer sind von Anfang 1983 bis Mitte 1984 die Landschaften gefolgt, die ihrerseits den Porträts (Jakov Lind) und den Akten vorausgehen. Es lässt sich diese Reihe der Bilder am besten mit dem Begriff der Landschaft umschreiben, was auch für das Auge evident ist, da es immer wieder Analogien im bekannten Bereich der Natur, der Landschaft suchen kann und dies auch unbewusst tut. Das gilt besonders für die Reproduktionen, in denen durch die Verkleinerung der Sujetcharakter des Themas deutlicher wird, als in den originalen Bildern. Es ist daher angebracht, zu fragen wie sich die Bilder von Oscar Bronner in den Komplex der Landschaftsmalerei heute einordnen.
1976 schrieb Michael Schwarz für den Katalog des Badischen Kunstvereins zu vier englischen Landschaftsmalern: „Im Jahre neunzehnhundertsechsundsiebzig, dem Jahr der documenta 6, eine Ausstellung zum Thema Landschaftsmalerei zu organisieren, ist entweder ein anachronistisches oder ein besonders spitzfindiges Unternehmen“1). Heute würde es keiner Entschuldigung mehr bedürfen, da in sehr vielen Ateliers die Landschaftsmalerei eine dominante Rolle einnimmt.
Annelie Pohlen formulierte zur Ausstellung des Bonner Kunstvereins mit dem Titel „Z.B. Landschaft“ 1982/83: „ Wenn auch die von der Mehrzahl der Künstlerindividuen angestrebte Vielfalt der gegenständlichen Motive den einzelnen Gegenstand als Deutungsinstrument relativiert, so wird man doch nicht ausschließen können, dass kein Künstler seinen Gegenstand ganz beliebig wählt. Die Wahl erotischen Szenariums… hat andere Hintergründe als der Blick auf die Landschaft.“ 2)
In der Landschaftsmalerei heute spielt die akademisch-realistische Landschaftsmalerei im Sinne des 19. Jahrhunderts nur noch eine Rolle als kreative Einübung für die bessere Wohnstube in der Provinz. Landschaft heute in der internationalen Malerei bedeutet die ambivalente Erscheinung der Gegenstände und ihrer Funktionen als malerischer Vorwand. „So meint Landschaftsmalerei heute so wenig wie Stillleben-, Akt-, Porträt- oder sonstige Inhaltsmalerei das Abbilden oder Übertragen außen vorgegebener Wirklichkeiten vor die Leinwand. Die Landschaft präsentiert sich wie andere Bildgegenstände als Vorwand oder Anker für je individuelle oder subjektive künstlerische Aspekte“ 3) (Annelie Pohlen)
Dabei ist die Landschaft als autonomer Gegenstand der Kunst eine relativ rezente Erscheinung, sie beginnt im ausgehenden 18. Jahrhundert, mit zunehmender Bedeutung in der Romantik, als die Naturlandschaft nach der Befreiung der Gefühle strebte. Auf die heroische Landschaft von Josef Anton Koch folgten die „Erdlebenbilder“ von Casper David Friedrich. In der modernen Kunst ist es die Landschaft der Impressionisten, die der Freiluftmalerei vor Ort zum Durchbruch verholfen haben, gefolgt von den Landschaften Cézannes, die in kubische Grundformen verfestigt sind. Für das 20. Jahrhundert ist die Landschaft immer wieder der geeignete Anlass zur Demonstration von Malerprinzipien und Formalismen; die des analytischen Kubismus (Picasso), der expressionistischen farbigen Bewegtheit (Kirchner, Schmidt-Rottluff, Kokoschka) bis hin zu den unterkühlten Schilderungen der neuen Sachlichkeit und der Phantastik der Landschaftskompositionen des Surrealismus. Auch in der gegenstandsfreien Malerei ist Landschaft immer wieder Vorbild für die von ihr ausgehenden Abstraktionen (Kandinsky).
Die Nennung einiger Beispiele aus der Geschichte der Landschaftsmalerei zeigt auf, dass der Gegenstand Landschaft zwar die Voraussetzung der Malerei ist, der Gegenstand selbst aber gänzlich in den Hintergrund getreten ist, um einer autonomen Malerei den absoluten Vorrang einzuräumen.
Bronner steht mit seiner Serie in dieser Tradition. Verkürzt können wir sagen: Ausgangspunkt Landschaft; der Malerei als Malerei als Landschaft; oder Landschaft als autonome Malerei. Es geht um die Schöpfung der Malerei, nicht um die Schöpfung Landschaft. Den Künstler interessieren keine mythischen oder märchenhaft-inhaltlichen Kompositionen, keine Provokationen, nicht die Idylle des Trivialen, nicht konzeptuelle Wahrnehmungsfragen, sondern die Malerei. Deshalb wollen Bronners Bilder auch unter dem Thema Malerei diskutiert werden, die Serie der Landschaften aber dennoch innerhalb der Tradition der Landschaftsmalerei.
Die Serie ist in sich geschlossen, ihre Begrenzung wird durch das Thema Landschaft bestimmt. Dabei ist die Landschaft kein Konzept, keine bedrohte Feierlichkeit, nicht die verwundete Landschaft, die Bilder verstehen sich nicht als Beitrag zur ökologischen Krise. Dennoch unterliegt ihnen von all den Verwiesenen auch etwas. Die Bilder sind in sich pluralistisch in der Wirkung, sie tragen in ihrer Komplexität vielfache Schichten, die der Rezipient, spezifiziert durch seinen eigenen Standpunkt, immer wieder anders hinterfragen kann. Denn über die abstrakte Komposition hinaus tragen die Bilder Stimmungen, die der Maler aufgrund seiner subjektiven Einstimmung beliebig verändern kann. Taglandschaften können im Atelier zu Nacht- oder Abendlandschaften werden; eine künstliche, artifizielle Stimmung wird durch den Maler aufgebaut. Der Realität setzt Bronner seine eigene Stimmungsrealität entgegen. Er verändert das Licht, lässt Wirklichkeiten in Unwirklichkeiten übergehen, die Wirklichkeit in eine fiktive malerische Realität umspringen. Der Maler sucht bewusst einen Konflikt zwischen Abstraktion und Repräsentation einerseits und der reinen Malerei andererseits. So fällt auf, dass Bronner die Farben natürlich setzt, er mit einer Farbparallelität zum Gegenstand arbeitet, dass die Farbanalogie nicht ausgeklammert wird, was den Abstraktionsgrad der Bilder automatisch reduziert. So sind auch alle Kompositionen in landschaftlichen Strukturen verankert, das heißt, es fehlt die Störung, z.B. die Geometrie als Abstraktion, das geometrische Element, das den Abstraktionsgrad der Bilder steigern würde.
Da die Binder Bauteile von Landschaften verarbeiten, geologische und geographische Aussagen einfließen lassen, ist die Ablesbarkeit für den Betrachter immer gegeben, die Erfahrbarkeit der eigentlichen Landschaft aber entzieht sich dem Verständnis des Betrachters. Der Beschauer der Bilder schwimmt sozusagen, er kann sich nicht festklammern, das Bild führt über sich selbst hinaus, das gemalte Detail wird wieder abstrakt, es ist Teil eines größeren Kosmos, und dennoch ist es selbst wieder neue Realität, eine in sich abgeschlossene Welt.
Der Maler manipuliert seine und unsere Eindrücke. Denn in der Tat kennt Bronner die Vorlagen für seine Landschaften, jene Landschaften, deren Topographie, deren Örtlichkeit wir in den Bildern nicht wiedererkennen würden, auch wenn wir das originale Modell gesehen hätten. Ausgangspunkt für Bronner ist die Landschaft, die in Skizzen und Photographien festgehalten wird, die aber im Studio eine große Veränderung erfährt. Denn der Ort ist nicht mehr interessant.
Die Landschaft ist lediglich der Lieferant der Kompositionsvorlage. Die Landschaft ist Herausforderung zur Malerei. Der Städter Bronner (er lebt in New York und Wien) hat kein besonderes Verhältnis zur Landschaft, deren Schönheiten er schildern will, deren atemberaubende Eindrücke ihn an die Staffelei zwingen. Dennoch werden die Farbigkeit, die Stimmung, das Zusammenlaufen der Linien, der Ausschnitt der Weltlandschaft zum Auslöser für Bronners Landschaftsbilder.
Die Photographien und Zeichnungen werden im Atelier neu überdacht, es wird eine Skizze erstellt, die über das Rasterverfahren mit Bleistift auf die Leinwand, in das große Format übertragen wird. Schon die Übertragung in die neue Größe verändert die vorgelegte Skizze. Nach der Aufskizzierung der Komposition wird in der Technik Acryl auf Leinwand stark verdünnte Farbe durch Spritzfarben auf die Leinwand aufgetragen. Die Farben werden in ihrer späteren Natürlichkeit verwendet. Die Leinwand steht nicht auf der Staffelei, sie liegt waagrecht auf einem niedrigen Tisch. Die Leinwand ist nicht grundiert, die Farbmasse wird mit den Fingern verteilt. Es handelt sich um Fingermalerei. Die Farbe auf der ursprünglich virginalen Leinwand zieht ein, die Leinwand wird imprägniert. Nach dem Malvorgang von drei bis vier Stunden muss die Farbe etwa einen halben Tag trocknen, bis das Ergebnis beurteilt werden kann. Dabei ist das Wichtigste, kritisch dem neuen Bild gegenüberzustehen, es zu vernichten, wenn es den Vorstellungen nicht entspricht. Die Quote der als gültig akzeptierten Bilder ist klein. Bronner hält es mit seinem malerischen Freund und Lehrer Kurt Moldovan, der einmal gesagt hat, dass sein wichtigstes Utensil der Papierkorb ist. Im Unterschied dazu aber arbeitet Bronner auf Leinwand. Damit ist die Technik Bronners die gleiche geblieben wie in den vorherigen Serien. 4)
Die Formate der Bilder entsprechen einer humanen Größe insofern, als der Maler im Umlaufen der Leinwand jeden Punkt erreichen können muss. Die Größe der Leinwand wird durch die Länge der Arme mitbestimmt, da Bronner ohne technische Hilfsmittel zur Verlängerung seines natürlichen Aktionsradius arbeitet. Für den Betrachter bleiben die Bilder dadurch erfassbar, sie erschlagen ihn nicht, sie zwingen ihn nicht zur unangenehmen Nähe der Miniatur oder Überdistanz des Riesenformats, sie sind Partner in menschlicher Dimension, Ausblicke in scheinbar Bekanntes, Einblicke in unbekannte Stimmungsträger. Die Produktionsweise in Serien an einem Thema zwingen zur ständigen Intensivierung. Malerische Übergänge von landschaftlichen Formen können immer weiter forciert werden, verwischt werden, akzentuiert werden, die Lichtführung kann neu durchdacht werden, sie kann vermindert oder verstärkt werden, Nebelschleier können hinzukommen, ohne als solche thematisiert zu sein, Verdichtungen sind möglich ebenso wie Auflösungen. Die unterlegte Komposition wird ihrerseits wieder nur zum Anlass, Malerei als den eigentlichen Vorgang zu betreiben. Die Malerei als Malerei stellt sich gegen die Vorlage, sie folgt eigenen Gesetzen, und das unter dem Druck der Geschwindigkeit, da die Farben, wenn sie trocken sind, nicht mehr verwendet werden können, die Bilder sich aber auch einer jeden Übermalung entziehen.
Bronner ist frei, seine Bild-Horizonte zu bestimmen, seine Ausschnitte. Die Bilder entwickeln sich flächenparallel zur Leinwand, wirkliche Perspektive findet nicht statt, die Landschaft ist in die zweite Dimension der Malerei gekippt, dennoch vermittelt sie Tiefe. Nirgendwo baut der Künstler seine Landschaft klassisch auf. Nirgendwo finden wir ein Repoussoir oder die Akzentuierung des Mittelgrundes. Die Landschaften verfließen auf der Leinwand wie die Farben. Das Thema wird aufgesaugt, variierte Malstrukturen steigern sich gegenseitig, die imaginären Lichtquellen durchleuchten die Landschaftsbilder, unterschiedlichste Topgraphien werden zu Stimmungen reiner Malerei.
Mit der Auflösung eines thematischen Vorwurfes zu reiner Malerei, ohne das Thema selbst völlig zu negieren, setzt Bronner den Rezipienten in eine Distanz zum Thema, die ihn in die Meditation zwingt. Nicht das Erkennen, das Wiederentdecken von bereits Erfahrenem, sondern die Reise in eine Welt der Abstraktion des Ungesehenen, der neuen psychischen Erfahrungen wird angesprochen. Die Bilder verweisen in eine uns unbekannte Welt, nicht der Wirklichkeitssinn, sondern der Möglichkeitensinn (Musil) wird transparent. Eine von der Realität gesteuerte Bildwirklichkeit sucht irreale Transzendenzen. Das Bild erweitert die Kenntnisse als retinaler Vorwurf für den geistigen Dialog.
Anmerkungen:
Michael Schwarz, Englische Landschaftsmalerei, Katalog Badischer Kunstverein, Karlsruhe, Haus am Waldsee, Berlin 1977/78
Annelie Pohlen, in: „Z.B. Landschaft“, Bonner Kunstverein, 1983
Annelie Pohlen, in: „Die Landschaft und die Malerei. Über eine naheliegende und schillernde Partnerschaft“, in: Kunstforum, Band 70, 2/84 März, S.33
Zur Technik vergleiche Dieter Ronte, Oscar Bronner, New York-Düsseldorf-Wien 1981